Bericht von Marlies Zurhorst.

Als Reaktion auf die Ergebnisse der Leo-Studie von 2010 (Ergebnis: 7,5 Mio. erwachsene funktionale Analphabeten in Deutschland) wurde vor 5 Jahren (2016) die AlphaDekade vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ins Leben gerufen. Ihre Ziele sind hoch gesteckt: Das Thema der geringen Literalisierung (auch als „funktionaler Analphabetismus“ bezeichnet) soll enttabuisiert werden, eine breite Öffentlichkeit für die Belange gering Literalisierter sensibilisiert werden, es soll mehr, differenziertere und attraktivere Lernangebote für Betroffene geben, zeitgemäße Lernformen (nicht zuletzt auch digitale) und erwachsenengerechtes Lernmaterial sollen entwickelt werden. Durch viele Maßnahmen und zahlreiche Initiativen auf unterschiedlichen Ebenen wollte und will man eine Halbierung der Zahl der gering Literalisierten innerhalb von 10 Jahren erreichen.

Zur Halbzeit der Alpha Dekade fand am 1./2. März 2021 die AlphaDekade Konferenz statt – coronabedingt allerdings im virtuell-digitalen Raum. Prominente aus Politik, Bildung und Forschung waren eingeladen, hielten Vorträge oder ergriffen das Wort in Podiumsdebatten oder diversen Fachforen. Insgesamt 400 TN aus der Alphabetisierungs- und Grundbildungspraxis nahmen teil. Dazu wurde die Konferenz von virtuellen Themen-und Materialtischen begleitet, die für alle Teilnehmenden ein großes Angebot bereithielten.

Unter den vielen interessanten Veranstaltungen hervorzuheben ist die „Podiums“debatte des ersten Tages mit prominent-kompetenter Besetzung: Prof. Dr. Cordula Löffler von der PH Weingarten, der einzigen Hochschule Deutschlands, an der eine Ausbildung zum/zur Grundbildungslehrer/-in angeboten wird, Prof. Dr. Michael Schemmann (Uni Köln, Erwachsenenbildung) und Prof. Dr. Josef Schrader, Direktor des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung).

Die wichtigsten Aussagen dieser Diskussion hier in Stichpunkten zusammengefasst:

Was in 5 Jahren erreicht wurde:

  • Das Thema wurde in die Öffentlichkeit gebracht / Medienaufmerksamkeit.
  • Grundbildungsreferate wurden in vielen Kultusministerien eingerichtet.
  • Grundbildungszentren GBZ wurden in vielen Bundesländern gegründet.
  • Viele Alphabetisierungs- und Grundbildungsprojekte wurden gestartet (z.B. ESF-Instrumente).
  • In zahlreichen Forschungsprojekten (z.B. vom BMBF) wurde viel neues Wissen aufgebaut.
  • Arbeitsorientierte Grundbildung als Spezialbereich wird immer weiter entwickelt.
  • Viel neues Lern-Material wurde entwickelt, auch digitale Tools („Digitalisierungs-Schub“).
  • Relevante Akteure arbeiten konstant zusammen.

Noch sind aber bei Weitem nicht alle Ziele erreicht:

  • Nach wie vor werden zu wenig Betroffene einbezogen.
  • Die Angebote sind keine Regelangebote, sondern häufig nur Einzelprojekte („Projektitis“).
  • Es gibt kaum professionelle Lehrkräfte-Ausbildung. Ein festes Berufsbild vom / von der „Grundbildungslehrer*in“ existiert nach wie vor nicht.
  • Unterrichtende sind häufig Quereinsteiger, Ehrenamtliche … ohne spezielle Ausbildung, oft zudem schlecht bezahlt.

Fazit: Die Forschung zum Thema muss auf allen Ebenen verstärkt werden (Lerndiagnostik, Lernangebote, Didaktik, Lehrendenausbildung, Unterrichtsmaterial u.v.m.)

  • Die Corona-Krise hat in der Erwachsenenbildung zu einem Einbruch der Angebote geführt, denn es gibt dort keine festen, professionellen Strukturen wie im staatlichen Schulbereich.
  • (Prof. Schrader) Menschen mit anderer Erstsprache sind häufiger gering literalisiert als deutsche Erstsprachler (lt. Leo-Studie: Anteil von 47 % an der Gesamtzahl der gering Literalisierten im Vgl. zu etwa 20 % an der Gesamtbevölkerung).
  • Angesichts der Zuwanderung von Menschen aus Ländern mit anderen Schriftsystemen oder Ländern mit einem hohen Anteil an primären Analphabeten sei eher eine Zunahme der Zahl gering Literalisierter und damit ein steigender Bedarf an Grundbildung und Alphabetisierung zu erwarten.

Weitere Informationen zur AlphaDekade-Konferenz finden Sie  hier.